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Auswirkungen eines Krankenhaus-  demenziell Erkrankter durch die Gabe  die Ursachen und Auslöser des heraus-
          aufenthaltes eines Demenzkranken  von Psychopharmaka mit einer anti-  fordernden Verhaltens. Aufgrund des-
          auf das Pflegepersonal          cholinergen Komponente weiter zu.  sen wurde auf Basis von vielfältigen
                                          Zusätzlich können diese Medikamente  Studien ein Modell demenzspezifi-
        „Das Zusammenspiel der körperlichen  die Entwicklung von akuten Verwirrt-  schen Verhaltens entwickelt, das soge-
        und kognitiven Defizite demenzkranker  heitszuständen (Delir) verursachen.  nannte NDB-Modell (need driven de-
        Patienten führt häufig zu einem spezi-  Der Misserfolg der genannten Maßnah-  mentia compromised behaviour
        ellen und überdurchschnittlich hohen  men kann somit bei Pflegefachkräften  model). Ursachen von herausfordern-
        Pflege- und Betreuungsaufwand“ (vgl.  zusätzlich Gefühle von Frustration,  den Verhaltensweisen werden darin nä-
        Kleina/Wingenfeld 2007, S. 8). Die vor-  Ärger und Abwehr gegenüber dem  her beleuchtet.„Es soll vermitteln, dass
        handenen Abläufe und Strukturen der  Patienten auslösen. Demnach ist ein  das Verhalten für die Betroffenen be-
        Krankenhäuser, wie z. B. die präoperati-  fundiertes Hintergrundwissen über  deutungsvoll ist und es soll handlungs-
        ve Nahrungskarenz oder eine ärztlich  die Entwicklung von herausfordernden  leitend für die Pflege sein“ (Halek/Bar-
        angeordnete Bettruhe, können de-  Verhaltensweisen notwendig, um     tholomeyczik 2007, S. 50).
        menzkranke Menschen aufgrund ihrer  entsprechende fachlich korrekte  Das Verhalten Demenzkranker wird dar-
        kognitiven Einschränkungen häufig  pflegerische Maßnahmen zu planen.  in durch zwei Arten von Variablen er-
        nicht oder nur bedingt einhalten. Infol-  Im nachfolgenden Kapitel werden  klärt. Auf der einen Seite gibt es Hinter-
        gedessen werden die Planung und   deshalb die Ursachen und Auslöser  grundfaktoren, welche durch
        Durchführung therapeutischer und  zur Entstehung von den genannten   pflegerische Interventionen kaum be-
        pflegerischer Maßnahmen erschwert  Verhaltensweisen näher betrachtet.  einflussbar sind. Dazu gehören z. B.
        und die täglichen Routinearbeiten der                                der neurologische Gesundheitsstatus,
        Pflegekräfte verzögert. Herausfordern-  Entstehungszusammenhänge und  körperliche und kognitive Fähigkeiten,
        de Verhaltensweisen, wie z. B. Agitation  Erklärungsansätze für herausfor-  biografische Ereignisse sowie Persön-
        oder Aggression, des demenziell Er-  dernde Verhaltensweisen         lichkeitsmerkmale oder biografische
        krankten können zu unvorhersagbaren                                  Methoden der Stressbewältigung.
        Ereignissen führen, die betreuungsin-  Die Ursachen für herausfordernde Ver-  Kenntnisse über diese Hintergrundvari-
        tensive und zeitaufwändige pflegeri-  haltensweisen demenziell Erkrankter  ablen sind hilfreich für die Erstellung ei-
        sche Maßnahmen erfordern. In Bezug  können facettenreich sein. Weiterhin  nes Profils des Betroffenen (Stärken,
        auf die Stomapflege wäre als Beispiel  kann deren Ermittlung durch die einge-  Schwächen) und für die Planung von
        die ständige Entfernung von Stomaver-  schränkte verbale Kommunikationsfä-  pflegerischen Interventionen. Im Ge-
        sorgungsprodukten zu nennen, welche  higkeit des Betroffenen erschwert sein.  gensatz dazu stehen die sogenannten
                                          Ein kontinuierliches und monotones
                                                                             nahen Faktoren, welche beeinflussbar
        ein peristomales toxisches Kontaktek- ©FgSKW
        zem verursachen kann. Angesichts der  Summen kann bspw. die letzte verbale  sind und somit genutzt werden kön-
        Personalausstattung und der ständig  Kommunikationsmöglichkeit eines de-  nen, um herausforderndes Verhalten zu
        wachsenden Arbeitsverdichtung des  menziell Erkrankten sein oder das rast-  modifizieren. Unter dieser Variablen
        Pflegepersonals im Krankenhaus ist  lose Umhergehen („Wandering“) eine  werden physische Bedürfnisse, wie
        eine aufwändige Einzelbetreuung des  Form der Stressbewältigung mit bio-  Hunger oder Schmerz sowie psychoso-
        demenziell Erkrankten kaum praktika-  grafischem Hintergrund. Diese Verhal-  ziale Bedürfnisse, wie Angst oder Lan-
        bel. Pflegefachkräfte erleben diese Ar-  tensweisen können von dem Umfeld  geweile, eingeordnet. Weiterhin gehö-
        beitssituation als physisch und psy-  als herausfordernd empfunden werden.  ren Umgebungsreize, wie Licht oder
        chisch stark belastend. Dabei werden  Dennoch ist der Versuch einer Redukti-  Geräusche und die soziale Umgebung,
        der Zeitdruck und das Gefühl„den Pati-  on des genannten Verhaltens kontra-  wie eine Kontinuität der pflegerischen
        enten und ihren Bedürfnissen nicht ge-  produktiv, da z. B. das„Umherwandern“  Betreuung, zu den nahen Faktoren. Das
        recht zu werden“ als stärkste Belas-  des Demenzkranken eine legitime Re-  Verhalten und die Einstellung der Pfle-
        tungsfaktoren empfunden. Sie fühlen  aktion zur Stressbewältigung darstellen  genden haben demnach auch einen er-
        sich oft hilflos und unsicher im Umgang  kann. Im Gegensatz dazu sollten Gebär-  heblichen Einfluss auf die Entwicklung
        mit herausfordernden Verhaltenswei-  den, wie eindringliches und lautes  von herausforderndem Verhalten. Pfle-
        sen der demenziell Erkrankten. Auf-  Schreien oder Rufen mit zeitgleichen  gende, die sich z. B. im Rahmen der In-
        grund von mangelndem Hintergrund-  Anzeichen von Unwohlsein, gemildert  teraktion mit dem Demenzkranken de-
        wissen hinsichtlich herausfordernder  werden. „Ein solcher Interpretations-  spektierlich und kommandierend
        Verhaltensweisen werden durch die  prozess des herausfordernden Verhal-  verhalten, können aggressive Verhal-
        Pflegefachkräfte inadäquate pflegeri-  tens aus der Sicht der demenzkranken  tensweisen des Patienten provozieren.
        sche Maßnahmen initiiert und durch-  Person wird in der zitierten Rahmen-  Sie wenden eine sogenannte„persona-
        geführt, wie z. B. der unreflektierte Ein-  empfehlung als„Verstehende Diagnos-  le Detraktion“ an, die eine subtile Form
        satz freiheitsentziehender oder   tik“ bezeichnet.“ (Bartholomeyczik et al.  des Herabsetzens alter Menschen, bein-
        sedierender Maßnahmen nach ärztli-  2013, S. 27) Der Versuch der Identifizie-  haltet. Personale Detraktionen der Pfle-
        cher Anordnung. Dabei hat sich in einer  rung, weshalb sich eine Person verhält,  gekräfte geschehen meistens aufgrund
        Untersuchung von Kong herausgestellt,  wie sie sich verhält unter Einbeziehung  eines geringen Grundverständnisses
        dass der Einsatz von Fixierungen bei  von Lebensumständen und Bezie-  für die Erkrankung Demenz und einer
        demenziell Erkrankten das agitierte  hungsgestaltungen mit beteiligten Per-  daraus resultierenden Hilflosigkeit oder
        Verhalten weiter verstärkt. Ferner neh-  sonen steht dabei im Mittelpunkt. Hier-  Überforderung. „Wenn eine Person mit
        men bestehende Gedächtnisstörungen  für bedarf es einer guten Kenntnis über  demenziellen Veränderungen ständig

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