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munikativ stark beeinträchtigten De- Symptome, wie der Verlust des Sprach- Anordnung wird in diesem Kontext
menzkranken bieten. Somit könnten verständnisses oder das veränderte auch gelegentlich genutzt. In diesen
Pflegende postoperative Schmerzen emotionale Erleben, ist bei vielen Pfle- Situationen werden pflegende Angehö-
nach einer Stomaanlage optimaler er- genden dagegen weniger präsent. In rige stellenweise zur Deeskalation
fassen und entsprechende Handlungs- Gesprächen mit Pflegenden wurde mir miteinbezogen, in dem sie telefonisch
maßnahmen ableiten. Maßnahmen zur häufig berichtet, dass sie das herausfor- benachrichtigt werden und um ihre
Schmerzreduktion, wie die Analgetika- dernde Verhalten in Form der ständi- Anwesenheit gebeten wird. Eine ge-
gabe nach Arztanordnung, lassen den gen Entfernung von Stomaversor- plante aktive Einbeziehung der Ange-
Punktwert der BESD sinken und redu- gungssystemen durch den Betroffenen hörigen im Rahmen der pflegerischen
zieren somit schmerzbedingte Verhal- selbst als eine besondere Belastung er- Versorgung findet dagegen selten statt.
tensweisen. leben. Sie fühlen sich in einer gewissen Viele Pflegende beklagen, dass wichti-
Insgesamt wird in der Vorstellung der Art hilflos, da Versuche, wie die Infor- ge psychosoziale Informationen
demenzsensiblen nicht-medikamentö- mation über die Notwendigkeit des (Biografie, Vorlieben, Abneigungen,
sen Konzepte deutlich, dass die Pfle- Stomasystems und die Bitte die Mani- bekannte Auslöser für die Entwicklung
genden zunächst ein fundiertes Hinter- pulationen zu unterlassen, häufig zu von herausforderndem Verhalten,
grundwissen über die Erkrankung keiner Verhaltensänderung führen. In bereits bewährte individuelle Maß-
Demenz und die Ursachen für heraus- manchen Fällen wird dem demenziell nahmen zur Deeskalation, etc.) über
fordernde Verhaltensweisen besitzen Erkrankten auch unterstellt, dass er mit den demenziell Erkrankten aus dem
sollten. Diese Grundlage trägt zu einem diesem Verhalten die Pflegenden pro- regulären Versorgungssetting des
besseren Verständnis der Pflegenden vozieren möchte. In vielen Fällen wirkt Betroffenen nicht schriftlich zur Ver-
für die Situation des Demenzkranken sich diese Vermutung auf das Verhalten fügung stehen. Die Gegenwart von
bei. Das ist wiederum die Basis für den und die Kommunikation der Pflege- Angehörigen wird deshalb von einigen
Aufbau einer wertschätzenden Interak- fachkräfte mit dem Demenzkranken Pflegefachkräften genutzt, um bio-
tion und Kommunikation, in der der aus. Sie verhalten sich dann distanzier- grafische Informationen und Lösungs-
Demenzkranke als Person mit seinen ter, sind ungeduldiger und verärgert. strategien zu generieren, die in der Ver-
Lebenserfahrungen wahrgenommen Die Kommunikation ist auf das Wesent- gangenheit herausfordernde Verhal-
wird, der seine Gefühle oder Bedürfnis- lichste reduziert. Diese Reaktionen tensweisen erfolgreich reduzierten.
se auf eine andere Art ausdrückt. Die führen bei den Pflegefachkräften im Diese Informationen werden jedoch
empathische Grundhaltung und Kom- Nachgang nicht selten zu Schuld- selten schriftlich fixiert, sodass sie nicht
munikation der Pflegenden, unter Be- gefühlen. Für die Pflegenden stellt für alle beteiligten Pflegenden verfüg-
rücksichtigung von biografischen Fak- die ständige Erneuerung des Stoma- bar und nutzbar sind. Im Rahmen der
versorgungssystems einen erhöhten
postoperativen Schmerzerfassung bei
toren, ist der Schlüssel um die ©FgSKW
Bedürfnisse hinter den herausfordern- Zeitaufwand dar. Sie geben an, dass kommunikativ stark eingeschränkten
den Verhaltensweisen des Patienten zu der reguläre Stationsalltag und die Patienten mit Demenz nach Stoma-
erkennen und situativ angemessene Routinearbeiten dadurch verzögert anlage beobachten die Pflegenden
Maßnahmen zu planen. Zur optimale- werden. In dem Zusammenhang regelmäßig die nonverbalen Schmer-
ren Einschätzung von Faktoren, die her- werden deshalb Strategien, wie die zäußerungen und die physiologischen
ausfordernde Verhaltensweisen verur- pflegerische Versorgung mit zwei Hinweise. Die Bewertung der Schmerz-
sachen, stehen in der Literatur Pflegekräften, genutzt, um zeitliche situation von demenziell Erkrankten
weiterhin unterschiedliche Assessmen- Ressourcen einzusparen. Innerhalb fällt dabei von Pflegekraft zu Pflege-
tinstrumente zur Verfügung, wie die der Pflegesituation werden demenz- kraft sehr unterschiedlich aus.
BESD zur Schmerzeinschätzung. kranke Stomaträger von den Pflege- Gelegentlich werden von Pflegenden
Das nun folgende Kapitel beleuchtet kräften häufig funktional und flüchtig auch Angehörige nach der Schmerzein-
die aktuelle Versorgung demenziell er- berührt. Basal stimulierende Elemente, schätzung ihres demenzkranken Ver-
krankter Stomaträger im Krankenhaus, wie die Initialberührung, kommen wandten befragt. Das Fremdeinschät-
in dem die Autorin als Stomatherapeu- nicht zum Einsatz. Im Rahmen der zungsinstrument BESD wird nicht
tin tätig ist. pflegerischen Stomaversorgung genutzt.
werden aggressive Verhaltensweisen Insgesamt lässt sich festhalten, dass in
Beschreibung der IST-Situation Demenzkranker, wie verbale Beleidi- dem beschriebenen Klinikum die über-
gungen oder körperliche Gewalt wiegend genutzten pflegerischen Maß-
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Stoma- gegenüber Pflegenden, als eine erheb- nahmen zur Deeskalation von heraus-
therapeutin in einem Krankenhaus der liche Belastung und einen persönlichen fordernden Verhaltensweisen wenig
Maximalversorgung betreue ich auch Angriff bewertet. Die Suche nach Erfolg zeigen. Dadurch entstehen bei
demenzkranke Stomaträger. Aktuelle Ursachen für die Entwicklung dieses den Pflegenden Gefühle der Frustrati-
Daten zur Prävalenz in diesem Klinikum Verhaltens wird in der Regel nicht on. Sie erleben die Betreuung von die-
liegen mir nicht vor. Nach meiner sub- vorgenommen. Wenn in kurzen sen Patienten als eine große Belastung.
jektiven Einschätzung stellt die Versor- Gesprächen mit dem Demenzkranken Allerdings sind seitens der Pflegekräfte
gung dieser Patientengruppe jedoch Erklärungen und Beruhigungen als Bestrebungen zur Deeskalation erkenn-
keine Randerscheinung dar. Die Erkran- Lösungsansätze versagen, befürworten bar, wie die Befragung von pflegenden
kung Demenz wird vorwiegend mit viele Pflegende die ärztliche Anord- Angehörigen nach erfolgreichen Lö-
dem Symptom des Gedächtnisverlustes nung der Psychopharmakagabe. Eine sungsstrategien und biografischen In-
assoziiert. Das Wissen über andere körpernahe Fixierung nach ärztlicher formationen.
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