Page 27 - MagSI Magazin Nr. 85_2021
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munikativ stark beeinträchtigten De-  Symptome, wie der Verlust des Sprach-  Anordnung wird in diesem Kontext
            menzkranken bieten. Somit könnten  verständnisses oder das veränderte  auch gelegentlich genutzt. In diesen
            Pflegende postoperative Schmerzen  emotionale Erleben, ist bei vielen Pfle-  Situationen werden pflegende Angehö-
            nach einer Stomaanlage optimaler er-  genden dagegen weniger präsent. In  rige stellenweise zur Deeskalation
            fassen und entsprechende Handlungs-  Gesprächen mit Pflegenden wurde mir  miteinbezogen, in dem sie telefonisch
            maßnahmen ableiten. Maßnahmen zur  häufig berichtet, dass sie das herausfor-  benachrichtigt werden und um ihre
            Schmerzreduktion, wie die Analgetika-  dernde Verhalten in Form der ständi-  Anwesenheit gebeten wird. Eine ge-
            gabe nach Arztanordnung, lassen den  gen Entfernung von Stomaversor-  plante aktive Einbeziehung der Ange-
            Punktwert der BESD sinken und redu-  gungssystemen durch den Betroffenen  hörigen im Rahmen der pflegerischen
            zieren somit schmerzbedingte Verhal-  selbst als eine besondere Belastung er-  Versorgung findet dagegen selten statt.
            tensweisen.                        leben. Sie fühlen sich in einer gewissen  Viele Pflegende beklagen, dass wichti-
            Insgesamt wird in der Vorstellung der  Art hilflos, da Versuche, wie die Infor-  ge psychosoziale Informationen
            demenzsensiblen nicht-medikamentö-  mation über die Notwendigkeit des  (Biografie, Vorlieben, Abneigungen,
            sen Konzepte deutlich, dass die Pfle-  Stomasystems und die Bitte die Mani-  bekannte Auslöser für die Entwicklung
            genden zunächst ein fundiertes Hinter-  pulationen zu unterlassen, häufig zu  von herausforderndem Verhalten,
            grundwissen über die Erkrankung    keiner Verhaltensänderung führen. In  bereits bewährte individuelle Maß-
            Demenz und die Ursachen für heraus-  manchen Fällen wird dem demenziell  nahmen zur Deeskalation, etc.) über
            fordernde Verhaltensweisen besitzen  Erkrankten auch unterstellt, dass er mit  den demenziell Erkrankten aus dem
            sollten. Diese Grundlage trägt zu einem  diesem Verhalten die Pflegenden pro-  regulären Versorgungssetting des
            besseren Verständnis der Pflegenden  vozieren möchte. In vielen Fällen wirkt  Betroffenen nicht schriftlich zur Ver-
            für die Situation des Demenzkranken  sich diese Vermutung auf das Verhalten  fügung stehen. Die Gegenwart von
            bei. Das ist wiederum die Basis für den  und die Kommunikation der Pflege-  Angehörigen wird deshalb von einigen
            Aufbau einer wertschätzenden Interak-  fachkräfte mit dem Demenzkranken  Pflegefachkräften genutzt, um bio-
            tion und Kommunikation, in der der  aus. Sie verhalten sich dann distanzier-  grafische Informationen und Lösungs-
            Demenzkranke als Person mit seinen  ter, sind ungeduldiger und verärgert.  strategien zu generieren, die in der Ver-
            Lebenserfahrungen wahrgenommen     Die Kommunikation ist auf das Wesent-  gangenheit herausfordernde Verhal-
            wird, der seine Gefühle oder Bedürfnis-  lichste reduziert. Diese Reaktionen  tensweisen erfolgreich reduzierten.
            se auf eine andere Art ausdrückt. Die  führen bei den Pflegefachkräften im  Diese Informationen werden jedoch
            empathische Grundhaltung und Kom-  Nachgang nicht selten zu Schuld-   selten schriftlich fixiert, sodass sie nicht
            munikation der Pflegenden, unter Be-  gefühlen. Für die Pflegenden stellt  für alle beteiligten Pflegenden verfüg-
            rücksichtigung von biografischen Fak-  die ständige Erneuerung des Stoma-  bar und nutzbar sind. Im Rahmen der
                                               versorgungssystems einen erhöhten
                                                                                  postoperativen Schmerzerfassung bei
            toren, ist der Schlüssel um die ©FgSKW
            Bedürfnisse hinter den herausfordern-  Zeitaufwand dar. Sie geben an, dass  kommunikativ stark eingeschränkten
            den Verhaltensweisen des Patienten zu  der reguläre Stationsalltag und die  Patienten mit Demenz nach Stoma-
            erkennen und situativ angemessene  Routinearbeiten dadurch verzögert  anlage beobachten die Pflegenden
            Maßnahmen zu planen. Zur optimale-  werden. In dem Zusammenhang       regelmäßig die nonverbalen Schmer-
            ren Einschätzung von Faktoren, die her-  werden deshalb Strategien, wie die  zäußerungen und die physiologischen
            ausfordernde Verhaltensweisen verur-  pflegerische Versorgung mit zwei  Hinweise. Die Bewertung der Schmerz-
            sachen, stehen in der Literatur    Pflegekräften, genutzt, um zeitliche  situation von demenziell Erkrankten
            weiterhin unterschiedliche Assessmen-  Ressourcen einzusparen. Innerhalb  fällt dabei von Pflegekraft zu Pflege-
            tinstrumente zur Verfügung, wie die  der Pflegesituation werden demenz-  kraft sehr unterschiedlich aus.
            BESD zur Schmerzeinschätzung.      kranke Stomaträger von den Pflege-  Gelegentlich werden von Pflegenden
            Das nun folgende Kapitel beleuchtet  kräften häufig funktional und flüchtig  auch Angehörige nach der Schmerzein-
            die aktuelle Versorgung demenziell er-  berührt. Basal stimulierende Elemente,  schätzung ihres demenzkranken Ver-
            krankter Stomaträger im Krankenhaus,  wie die Initialberührung, kommen  wandten befragt. Das Fremdeinschät-
            in dem die Autorin als Stomatherapeu-  nicht zum Einsatz. Im Rahmen der  zungsinstrument BESD wird nicht
            tin tätig ist.                     pflegerischen Stomaversorgung      genutzt.
                                               werden aggressive Verhaltensweisen  Insgesamt lässt sich festhalten, dass in
              Beschreibung der IST-Situation   Demenzkranker, wie verbale Beleidi-  dem beschriebenen Klinikum die über-
                                               gungen oder körperliche Gewalt     wiegend genutzten pflegerischen Maß-
            Im Rahmen meiner Tätigkeit als Stoma-  gegenüber Pflegenden, als eine erheb-  nahmen zur Deeskalation von heraus-
            therapeutin in einem Krankenhaus der  liche Belastung und einen persönlichen  fordernden Verhaltensweisen wenig
            Maximalversorgung betreue ich auch  Angriff bewertet. Die Suche nach  Erfolg zeigen. Dadurch entstehen bei
            demenzkranke Stomaträger. Aktuelle  Ursachen für die Entwicklung dieses  den Pflegenden Gefühle der Frustrati-
            Daten zur Prävalenz in diesem Klinikum  Verhaltens wird in der Regel nicht  on. Sie erleben die Betreuung von die-
            liegen mir nicht vor. Nach meiner sub-  vorgenommen. Wenn in kurzen   sen Patienten als eine große Belastung.
            jektiven Einschätzung stellt die Versor-  Gesprächen mit dem Demenzkranken  Allerdings sind seitens der Pflegekräfte
            gung dieser Patientengruppe jedoch  Erklärungen und Beruhigungen als  Bestrebungen zur Deeskalation erkenn-
            keine Randerscheinung dar. Die Erkran-  Lösungsansätze versagen, befürworten  bar, wie die Befragung von pflegenden
            kung Demenz wird vorwiegend mit    viele Pflegende die ärztliche Anord-  Angehörigen nach erfolgreichen Lö-
            dem Symptom des Gedächtnisverlustes  nung der Psychopharmakagabe. Eine  sungsstrategien und biografischen In-
            assoziiert. Das Wissen über andere  körpernahe Fixierung nach ärztlicher  formationen.


            Das Thema                                                                              Nr. 85 · 04/2021  27
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